Diesen Artikel teilen:

09.01.2015 Bildung Pressemitteilung

Deutscher Pflegerat unterstützt das Strukturmodell zur Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation in der ambulanten und der stationären Langzeitpflege

Ausgangslage

Die Pflegedokumentation ist in erster Linie ein Instrument professionellen Pflegehandelns und gibt Auskunft über individuelle Pflegeprozesse. Sie dient der Information und Kommunikation von pflegerischen Handlungsstrategien. Was und wie dokumentiert wird, hängt mit der Frage zusammen, welche Auffassung die Nutzer der Dokumentation darüber haben, was Pflege tut und wie sie es tut. Der Pflegeprozess als mehrstufiger, allgemeiner Problemlösungsprozess stellt dabei ein zentrales Element dar. Die Pflegefachlichkeit beruht auf in der Ausbildung erworbenem Wissen, u.a. auf Grundlage von Pflegemodellen und -theorien sowie der Berufserfahrung. In vielen Einrichtungen werden beispielsweise die von Roper et al. erstmalig entwickelten und von Juchli oder Krohwinkel modifizierten Pflegemodelle nach Lebensaktivitäten eingesetzt. Ihre Implementierung in den 80er Jahren war ein Meilenstein für die Pflege in Deutschland.

In den letzten Jahren hat die Pflegedokumentation jedoch einen anderen Charakter angenommen und die Funktion als Instrument professionellen Pflegehandelns ist gegenüber anderen Anforderungen in den Hintergrund getreten, die mit Pflege und Betreuung selbst wenig zu tun haben: So wurden zur Absicherung in haftungsrechtlichen Fragen juristische Aspekte einbezogen. Die Etablierung eines internen Qualitätsmanagements sowie der Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität und die Qualitätssicherung (gem. §113 SGB XI) führte zu Vorgaben, die sich in der Pflegedokumentation wieder finden mussten. In der ambulanten Pflege und in stationären Einrichtungen stellten der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) und die Heimaufsicht unterschiedliche Anforderungen an die Dokumentation. Die gesetzlichen Regelungen über haftungsrechtliche und leistungsrechtliche Anforderungen nach SGB V und SGB XI hatten zur Folge, dass die Dokumentation an die Vergütung gekoppelt wurde, indem sie in Anteilen als Nachweis für vergütungsrelevante Leistungen fungiert.

Diese Entwicklungen führten dazu, dass sich die Pflegedokumentation zunehmend von ihrer zentralen Aufgabe der Steuerung des Pflegeprozesses entfremdet hat. Zudem erhöhte sich der zeitliche Aufwand enorm und zog Kapazitäten von der direkten, klientennahen Pflege ab. Der finanzielle Aufwand der Pflegedokumentation im SGB XI Bereich wird einer Untersuchung zufolge auf insgesamt rund 2,7 Mrd. Euro (davon allein ca. 1,9 Mrd. für Einzelleistungsnachweise in der stationären Pflege) jährlich beziffert.1 Der immense Bürokratieaufwand und seine Folgen in einer angespannten Personalsituation in der Pflege wurden auch von der Politik als Problem erkannt. So erhielt die Ombudsfrau für Entbürokratisierung in  der Pflege im Bundesgesundheitsministerium (BMG) 2011 den Auftrag, Ideen und Vorschläge für weniger Bürokratie in der Pflege zu erarbeiten. Im Verlauf dieses Projektes entwickelte die Ombudsfrau gemeinsam mit Experten aus Wissenschaft und Praxis das „Strukturmodell - Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation“, das 2013/2014 in ambulanten Pflegediensten und stationären Pflegeeinrichtungen erfolgreich erprobt und anschließend der Öffentlichkeit im Februar 2014 vorgestellt wurde. 2 3

Schon in der ersten Erprobungsphase (Sept. 2013 – Jan. 2014) löste das Projekt eine breite Welle positiver Rückmeldungen aus: Es zeigte sich, dass das Strukturmodell sowie die neu entwickelte

‚Strukturierte Informationssammlung (SIS) inklusive Risikomatrix’ - unter Berücksichtigung fachlicher Standards - den Aufwand für die Dokumentation deutlich reduziert. Die „Strukturierte Informationssammlung (SIS)“ wurde als Instrument wahrgenommen, das den Einstieg in den Pflegeprozess strukturiert und einen guten und schnellen Überblick vermittelt – auch für Außenstehende. Pflegefachpersonen, die am Praxistest teilgenommen hatten, identifizierten sich mit der neuen Dokumentationsstruktur und berichteten, dass sie ihre Fachlichkeit und Berufserfahrung sowie die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen verstärkt berücksichtigt sahen.

Der Deutsche Pflegerat (DPR) und der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), die das Projekt in einem Lenkungsgremium als Pflegeberufsverbände begleiten (zusammen mit dem GKV- Spitzenverband, Vertretern der Länder, Leistungserbringerverbänden, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung sowie Verbraucherorganisationen), begrüßen das Strukturmodell sowie die Strukturierte Informationssammlung (SIS) inklusive Risikomatrix und unterstützen seine weitere Umsetzung, um die Fachlichkeit der Pflege zu stärken, und gleichzeitig Pflegefachpersonen zu entlasten sowie eine an der Person orientierte Pflege auch in der Pflegedokumentation abzubilden.

Strukturmodell

Das Strukturmodell (vier Phasen des Pflegeprozesses) umfasst: 1. die Einschätzung des Pflege- und Betreuungsbedarfs (Strukturierte Informationssammlung - SIS), 2. die Planung der Maßnahmen, die auf der SIS aufbauen, 3. den Pflegebericht, in dem vorwiegend nur noch Veränderungen dokumentiert werden und 4. die Evaluation, die auf Kriterien aufbauen, die bereits in der SIS enthalten sind.

1.   Strukturierte Informationssammlung (SIS)

Die Strukturierte Informationssammlung (SIS) stellt ein Konzept auf wissenschaftlicher Grundlage dar und beinhaltet vier Felder: A, B, C1 und C2. In Feld A werden der Name und das Datum des Gesprächs  sowie die Unterschrift der Pflegefachkraft erfasst, die hierfür verantwortlich zeichnet. Feld B enthält eine offene Frage an den Pflegebedürftigen bzw. seine Angehörigen nach dem Hauptproblem seiner Pflegesituation. Durch diese Frage wird die Sichtweise der Betroffenen in die SIS aufgenommen und bietet Raum für individuelle und biografische Angaben.

Das Feld C1 umfasst sechs pflegerelevante Themenkomplexe: Kognition und Kommunikation, Mobilität und Bewegung, krankheitsbezogene Anforderungen und Belastungen, Selbstversorgung, Leben in sozialen Beziehungen, Leben und Haushaltsführung (Versorgung durch ambulante Pflegedienste) bzw. Leben und Wohnen (stationäre Einrichtungen). Auf der Grundlage dieser narrativ erfassten Informationen identifizieren Pflegefachpersonen den Pflege- und Betreuungsbedarf der Pflegebedürftigen bzw. Bewohner/innen.

Das Feld C2 umfasst eine Matrix mit derzeit fünf wissenschaftsbasierten pflegesensitiven Risiken: Dekubitus, Sturz, Schmerz, Inkontinenz und Ernährung plus ein Freifeld. Die Pflegefachperson kreuzt an,

ob ein Risiko bei Aufnahme erkennbar ist, und ob eine weitere Einschätzung (Differentialassessment) erforderlich ist. Für die ambulante Pflege kann darüber hinaus angekreuzt werden, ob eine Beratung erfolgt ist. Neben der Einschätzung dieser Risiken ermöglicht es die Matrix, diese Risiken mit den pflegerelevanten Kontextkriterien (C1) zu verknüpfen. D.h. bei jeder dieser Verknüpfungen steht der Zusammenhang zwischen beispielsweise Kognition und Kommunikation mit Sturzrisiko im Vordergrund. Durch die Felder C1 und C2 entsteht eine fachliche Beurteilung und Dokumentation der Pflege- und Betreuungssituation.

Die Strukturierte Informationssammlung erfolgt zunächst im Rahmen des Erstgesprächs (zur Pflegeanamnese) durch eine erfahrene und geschulte Pflegefachperson. Durch wiederholte Einschätzungen (im Rahmen der Evaluation) entsteht ein Bild vom Verlauf. Durch das Ankreuzverfahren in der Matrix kann die Einschätzung zu pflegesensitiven Risiken und Kontextkategorien mit wenig Aufwand aber hoher Aussagekraft dokumentiert werden.

Bewertung

Grundsätzlich gibt es viele Möglichkeiten, den Pflegebedarf eines Menschen zu erfassen und einzuschätzen sowie die Pflege zu planen, durchzuführen und zu dokumentieren. So kann beispielsweise eine Anamnese erstellt, ein Assessment durchgeführt, Risiken oder Potentiale identifiziert werden. Doch unabhängig von der Fülle der Möglichkeiten geht es grundsätzlich - auch in der Langzeitpflege - zumindest darum, den Pflege- und Betreuungsbedarf eines Menschen wie auch die Risikofaktoren für das Eintreten von Pflegebedürftigkeit als Grundlage pflegerischen Handelns individuell zu erfassen. Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse haben gezeigt, dass sich der Pflegebedarf aus der pflegefachlichen Beurteilung in mindestens sechs Themenbereichen (Kognition und Kommunikation, Mobilität und Bewegung, krankheitsbezogene Anforderungen und Belastungen, Selbstversorgung, Leben in sozialen Beziehungen, Leben und Haushaltsführung bzw. Leben und Wohnen) und der Überprüfung von mindestens fünf Risikobereichen (Dekubitus, Sturz, Schmerz, Inkontinenz und Ernährung) identifizieren lässt. Die sechs Themenfelder in der SIS basieren auf einer wissenschaftlichen Analyse von (inter-)national etablierten Instrumenten zur Erfassung des Pflege- und Hilfebedarfes, die im Rahmen der Entwicklung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines neuen Begutachtungsassessment (NBA) von einer Expertengruppe des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld durchgeführt wurde.4,5 Die fünf Risikobereiche beziehen sich auf zentrale Risiken der pflegerischen Versorgung, zu denen u.a. auch Expertenstandards des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) vorliegen. Mit dem Fokus auf den Pflege- und Betreuungsbedarf sowie die Risikofaktoren bietet die SIS zwei grundlegende Möglichkeiten, pflegefachlich Versorgungsbedarfe zu erfassen. Damit stärkt sie die Fachlichkeit und reduziert gleichzeitig den Aufwand bei der Pflegedokumentation.

2.   Maßnahmenplanung

Die Maßnahmenplanung erfolgt auf Grundlage der SIS und den Äußerungen des Pflegebedürftigen (Feld B). Sie bezieht sich u.a. auf den Handlungsbedarf bei routinemäßig wiederkehrenden Abläufen wie bei der Körperpflege oder Nahrungsaufnahme (die gemäß der Pflegeversicherung unter dem Begriff der Grundpflege zusammengefasst werden), der psychosozialen Betreuung und der hauswirtschaftliche Versorgung, den Eigenarten und Vorlieben des Pflegebedürftigen sowie auf Maßnahmen zu Risiken bzw. zur Behandlungspflege.

Bewertung

Da die Maßnahmenplanung auf der SIS basiert, folgt sie deren Logik und ermöglicht eine Planung als Antwort auf den identifizierten Bedarf bzw. pflegerelevanten Risiken. Für ambulante Pflegedienste bleibt dennoch die Notwendigkeit, Leistungsnachweise zu führen.

3. Pflegebericht

Auch    der    Pflegebericht    baut    auf    der    SIS    und    den    daraus    abgeleiteten    Pflege-    und Betreuungsmaßnahmen auf. In der stationären und der ambulanten Langzeitpflege müssen im Pflegebericht nicht mehr die routinemäßigen, wiederkehrenden pflegerischen Maßnahmen (der sozialversicherungsrechtlich     sogenannten     „Grundpflege“)     dokumentiert    werden,     sondern    die Abweichungen    von   der   Maßnahmenplanung.    Demnach   wird    nicht   mehr   dokumentiert,   dass beispielsweise die Körperpflege bei einem Pflegebedürftigen durchgeführt wurde, sondern welche Maßnahmen wegen z.B. tagesaktueller Ereignisse nicht erfolgten und welcher Handlungsbedarf oder welche Information sich hieraus für andere Mitglieder des Pflege- oder interdisziplinären Teams ergeben. Eine zentrale Voraussetzung für diese Art der Gestaltung der Pflegeberichte ist, dass die routinemäßigen, wiederkehrenden Pflegemaßnahmen durch entsprechende standardisierte Verfahrensanleitungen fachlich aussagefähig und prägnant z.B. im Qualitätshandbuch (interne Qualitätssicherung) für die wichtigsten Pflegehandlungen hinterlegt sind (Erfüllung des ‚immer-so-Beweis’).

Gleichzeitig ist nach wie vor zwischen den Dokumentationsanforderungen der Grund- und Behandlungspflege zu unterscheiden: Bei der Grundpflege als einer routinemäßig wiederkehrenden Tätigkeit genügt die Dokumentation von Abweichungen, während bei der Behandlungspflege als verordneter Maßnahme weiterhin der Einzelnachweis geführt werden muss.

Bewertung

In der Pflege ist die Auffassung weit verbreitet, dass nur dasjenige als erbrachte Pflegeleistung betrachtet wird, was auch dokumentiert wurde. Daraus ergibt sich, dass aus einer umfänglichen Dokumentation ein haftungsrechtliches Sicherheitsgefühl abgeleitet wird, was der Sachlage jedoch nicht entspricht. Eine Leistungsbeschreibung der routinemäßig durchgeführten Maßnahmen der Grundpflege in der Einrichtung entbindet von dem Einzelnachweis und hat bei Einhaltung des oben erwähnten Rahmens haftungsrechtlich Bestand.6 Zudem ist der Pflegebericht nicht länger vor allem das „Nachweisheft“ für die extern vergleichende Qualitätssicherung, in dem jede Maßnahme aufgeführt werden muss, die Pflegefachpersonen durchführen. Es gibt vielmehr eine Neuregelung, die den Aufwand reduziert, den externen Qualitätsanforderungen entspricht und gleichzeitig die erforderlichen pflegefachlichen Informationen nachvollziehbar und im Verlauf darstellt. Es verspricht somit eine zeitliche Entlastung von Dokumentationspflichten, Zeit die für Pflege und Betreuung der Pflegebedürftigen zur Verfügung steht.

4.   Evaluation

Die Evaluation erfolgt vor allem bezugnehmend auf die Einschätzung der Bedarfe (SIS), der eingeleiteten Maßnahmenplanung und des Pflegeberichts. Die Evaluationsintervalle können dabei variieren: Zum Beispiel konnte bei Ersteinschätzung festgelegt werden, dass ein identifiziertes Risiko (u.a. Sturzrisiko in Zusammenhang mit kognitiver Einschränkung) innerhalb von drei Tagen nach Beginn des pflegerischen Auftrages erneut eingeschätzt werden soll. Darüber hinaus kann mit Hilfe der Evaluation überprüft werden, ob ein festgestellter Zustand (z.B. Schmerzen) nach erfolgten Handlungen immer noch besteht und sich weiterhin auf Aktivitäten wie z.B. die Selbstversorgung (Körperpflege) bezieht.

Bewertung

Mit der Evaluation lässt sich überprüfen, inwieweit sich die Einschätzung des Pflegebedarfs in der SIS und der darauf aufbauenden Maßnahmenplanung im Verlauf das bestehende Problem haben lösen können bzw. den Ausgangszustand beeinflusst haben. Mit der Evaluation schließt der Pflegeprozess bzw. beginnt von vorn. Hier wird auch implizit der Bezug zu (in)direkten Zielen sichtbar, die sich aus der Einschätzung des Pflegebedarfes ableiten.

Kritik

Neben den positiven Rückmeldungen gibt es auch Kritik am Strukturmodell. Kernpunkte der Kritik beziehen sich auf „verloren gegangene Informationen“. So wird argumentiert, dass der Einsatz des vierstufigen Pflegeprozesses mit einem Verlust an Informationen einhergehe, da die Benennung von Problemen, Ressourcen und Zielen nicht mehr expliziter Bestandteil der Pflegeplanung sei. Auch würden Informationen zum sozialen Umfeld, wie zu Angehörigen oder Angaben zur Biographie nicht mehr erhoben, so die Kritiker. Damit sei das Denken der Pflegefachpersonen eingeengt und Pflegekonzepte ausgedünnt.

Dieser Kritik kann entgegen gehalten werden, dass die Entscheidung für den vier- statt sechsstufigen Pflegeprozess nicht zum Verlust der Erfassung von Problemen und Ressourcen bzw. der Benennung von Zielen bei der Maßnahmenplanung führen muss. Schlüssige Maßnahmen, die auf der Grundlage der Strukturierten Informationssammlung (SIS) entwickelt werden, umfassen Probleme, Ressourcen und Ziele auch dann, wenn diese nicht explizit in einem eigenen Bereich der Pflegedokumentation aufgeführt

werden. Das Ausformulieren aller Zwischenschritte der Pflegeplanung in hohem Detail hat vor allem während der Ausbildung eine didaktische Bedeutung. Pflegeassessment, Zielvorgaben des Klienten, ausgewählte Maßnahmen und Pflegebericht ergeben in der Gesamtschau ein fachlich stringentes und logisches Bild der gesamten Versorgung. Es entsteht Raum für fachliche Autonomie der Pflegefachpersonen und die Individualität der Klienten. Gleichzeitig wird die Fachlichkeit insofern gefordert, als die beteiligten Pflegefachpersonen ihr Handeln jederzeit begründen können müssen.

Der Kritik, dass das Strukturmodell Pflegekonzepte ausdünnt, kann entgegen gehalten werden, dass es möglich ist konzeptionelle Modelle zu hinterlegen. Dass Pflege auf konzeptionellen Modellen (z.B. der personzentrierten Pflege) basiert, wird als unverzichtbar angenommen: So sind bei der Pflege von Menschen in der Langzeitversorgung verschiedene konzeptionelle Modelle hilfreich, die personale Aspekte wie Interessen, Vorlieben und Gewohnheiten des zu Pflegenden ebenso enthalten wie umgebungsbezogene Aspekte, die sich u.a. auf Angehörige beziehen. Bei der Pflege palliativ erkrankter Menschen oder Menschen mit Demenz ist Biographisches wichtig; bei Menschen mit akuten Erkrankungen stehen die gegenwärtige Alltagssituation, deren Bewältigung wie auch Medizinisches im Vordergrund. Spezifische Informationen, die für die Pflege bestimmter Menschen wichtig sind, müssen auch weiterhin dokumentiert werden. Wie das geschieht, können vor allem die Pflegefachpersonen einer Einrichtung vor Ort entscheiden. Das Strukturmodell steht für die methodische Vorgehensweise (Pflegeprozess), die Strukturierte Informationssammlung (SIS) für die Erfassung von Pflegebedarfen und Risiken orientiert an für die Erfassung der Pflegebedürftigkeit zentralen Erkenntnissen und ermöglicht das Hinterlegen weiterer konzeptioneller Modelle (z.B. demenzspezifische Pflegekonzepte). Formuliert wurden juristische und fachwissenschaftliche Mindestanforderungen an die Pflegedokumentation (nicht an die Pflege), die sich auf die unverzichtbaren Informationen zum Pflege- und Betreuungsbedarf und zur Risikoeinschätzung beziehen. In der Bewertung ist zusätzlich zu trennen zwischen den Anforderungen des Rechts und der Verwaltung (z.B. der Kostenträger) und denen, die aus der pflegefachlichen Betrachtung erforderlich sind.

Fazit

Ausgangspunkt für die Entbürokratisierung in der Pflege waren Aussagen von Pflegefachpersonen, die in Extremfällen von bis zu 70 Blättern Papier zur Dokumentation eines zu pflegenden Menschen berichteten! Hier war Abhilfe dringend geboten. Die Ombudsfrau für Entbürokratisierung in der Pflege entwickelte zusammen mit Experten ein Strukturmodell sowie eine Strukturierte Informationssammlung (SIS), das den Pflegedokumentationsaufwand deutlich reduziert, wissenschaftlich fundiert ist, den haftungsrechtlichen und leistungsrechtlichen Anforderungen nach SGB V und SGB XI genügt sowie gleichzeitig der Pflegefachlichkeit Raum gibt.

Damit ist ein Meilenstein gelungen: Pflegefachpersonen arbeiten nicht länger in einer Engführung durch Checklisten, die abzuhaken sind und das Führen von „Nachweisheften“ für regelhaft durchgeführte Prüfungen oder potentielle Gerichtsverfahren. Durch das Strukturmodell verfügen sie vielmehr über ein

„Arbeitsinstrument“, das zugleich ihre Professionalität fordert: Denn nun müssen sie begründen und vertreten - auch gegenüber der externen Qualitätssicherung - welche Maßnahmen sie durchführen oder nicht durchführen und mit welchem Ziel sie diese Maßnahme beim konkreten Pflegebedürftigen  abgeleitet haben.

Das Strukturmodell und die Strukturierte Informationssammlung (SIS) stellen eine Verständigung der maßgeblichen Akteure und Institutionen über die unverzichtbaren Grundanforderungen an die Pflegedokumentation dar. Diese Grundanforderungen basieren auf nachvollziehbaren Kriterien, folgen einer schlüssigen Logik und sind wissenschaftlich begründet.

Der Deutsche Pflegerat schlägt vor, diesem neuen Arbeitsinstrument eine Chance zu geben und es jetzt – auch im Rahmen des bundesweiten Implementierungsprojektes - zu erproben. Es wird die Pflege verändern und sie ein Stück zu ihren Wurzeln zurückführen. Durch die Anwendung des Strukturmodells können Erfahrungen gesammelt werden, die bei Bedarf Anpassungen ermöglichen.

Literatur

1 Destatis (2013) Erfüllungsaufwand im Bereich Pflege. Antragsverfahren auf gesetzliche Leistungen für Menschen, die pflegebedürftig oder chronisch krank sind (März 2013). https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/Buerokratiekosten/Download/Pflegebericht.pdf? blob=publicationFile (zuletzt aufgerufen 18.12.2014)

2 Abschlussbericht und Anlagen des Projektes „Praktische Anwendung des Strukturmodells - Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation in der ambulanten und stationären Langzeitpflege“ http://www.bmg.bund.de/pflege/entbuerokratisierung-in- der-pflege.html (zuletzt aufgerufen 14.01.2015)

3 Roes, M. (2014) Fachlich, übersichtlich, praxistauglich. Die Schwester Der Pfleger 53 (7) S. 694-698

4 Wingenfeld, K./Büscher, A./Schaeffer, D. (2007): Recherche und Analyse von Pflegebedürftigkeitsbegriffen und Einschätzungsinstrumenten. Studie im Rahmen des Modellprogramms nach § 8, Abs. 3 SGB XI im Auftrag der Spitzenverbände der Pflegekassen. Bielefeld: IPW. http://www.uni-bielefeld.de/gesundhw/ag6/downloads/ipw_bericht_20070323.pdf (zuletzt aufgerufen 18.12.2014)

5 Wingenfeld, K./Büscher, A./Gansweid, B. (2008): Das neue Begutachtungsassessment zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit. Abschlussbericht zur Entwicklung eines neuen Begutachtungsinstruments. Studie im Rahmen des Modellprogramms nach § 8 Abs. 3 SGB XI im Auftrag der Spitzenverbände der Pflegekassen. Bielefeld/Münster: IPW/MDK WL (Fassung vom 25.3.2008). http://www.uni-bielefeld.de/gesundhw/ag6/downloads/Abschlussbericht_IPW_MDKWL_25.03.08.pdf (zuletzt aufgerufen 18.12.2014)

6 Kasseler Erklärung (2014). Notwendiger Umfang der Pflegedokumentation aus haftungsrechtlicher Sicht der Juristischen Expertengruppe. Entbürokratisierung der Pflegedokumentation (Januar 2014). https://www.bibliomed.de/pkr/-/magazine/ detail/4431539 (zuletzt aufgerufen 18.12.2014)

Diesen Artikel teilen:

Der DPR-Newsletter Wir informieren Sie in unserem monatlichen Newsletter über die Entwicklungen in allen Themen.

Newsletter An-/Abmeldung