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01.07.2015 Bildung Pressemitteilung

(R)Evolution im System

Bei der Weiterentwicklung des DRG-Systems sind mit systemimmanenten Ansätzen schnelle Verbesserungen für die Pflege möglich, schreiben unserer Autoren. Die Integration von Pflegebedarfsfaktoren in die DRG-Kalkulation sei anschlussfähig zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und zu den Qualitätsindikatoren und minimiere die Dokumentationsaufwände für die Pflegenden.

Nach über zehn Jahren GDRG-System ist es keine Frage mehr, dass Pflege ein wesentlicher Teil der Leistungserbringung und -vergütung im Krankenhaus war,  ist  und  auch  zukünftig  bleibt. Dennoch ist es erforderlich, die Ab- bildung des Pflegeaufwands zu ver- bessern. Allerdings hat sich die Dis- kussion, wie dieses Ziel erreicht wer- den kann, fälschlicherweise nahezu ausschließlich auf den OPS 9-20 Hochaufwendige Pflege, der (bisher) unabdingbar mit der Dokumentation des Pflegekomplexmaßnahmenscores (PKMS) verbunden ist, fokussiert.

Die Reflexion auch anderer bereits bestehender Ansätze zur Abbildung des Pflegeaufwandes im DRG-System, die für eine Verbesserung lediglich weiterentwickelt werden müssten, hat dadurch nicht die not- wendige Bedeutung erlangt. Aller- dings hat sich gezeigt, dass sich die bei vielen Pflegenden mit dem PKMS verknüpften geweckten Hoffnungen auf mehr Personal und Anerkennung pflegerischer Leistungen nicht erfüllt haben – und letztendlich auch nie er- füllen konnten. Dies wurde nun auch seitens der Politik erkannt und ein zweites Pflegestellenförderprogramm – nicht zuletzt auf Forderung des Deutschen Pflegerats im Krankenhaus- strukturgesetz verankert. Dieses soll für die Jahre 2016 bis 2018 einen Gesamtumfang von 660 Millionen Euro umfassen, könne aber nach Einschätzung von Verdi selbst bei vollständiger Ausschöpfung nur etwa ein Zehntel des erforderlichen Personalbedarfs für diese Berufsgruppe schaffen.

Betrachtet man die Entwicklung der Personalausstattung im Krankenhaus (Abbildung 1), so hat bereits im Vorfeld der Einführung der Fallpauschalen in die Krankenhausfinanzierung ein deutlicher Personalabbau im Pflegedienst stattgefunden. Hier ist zu vermuten, dass die Aussetzung der Pflegepersonalregelung (PPR) zu dieser Entwicklung geführt hat. Seit 2007 ist ein Anstieg der Vollkräfte auch im Pflegedienst zu verzeichnen der in etwa das Niveau im Jahr 2004 erreicht hat.

Einpreisung des Abbaus

Auch wenn man die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs zur Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes im ärztlichen Dienst berücksichtigt, fällt auf, dass sich die Relation Ärztlicher Dienst zu Pflegerischer Dienst von etwa 1:2,7 in 2004 zu etwa 1:2,2 verschoben hat. Die Logik der Kalkulation der DRG auf Basis der IST-Kosten „preist“ diese veränderte Relation über die Personalkosten in die DRG ein und übernimmt diese reaktiv. Es ist daher interessant, dass die Bundesregierung im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD folgende Feststellung getroffen hat: „Eine sichere Behandlung ist letztendlich nur dort möglich, wo das ärztliche und pflegerische Personal nicht über Gebühr belastet wird. Wir wollen gewährleisten, dass auf Ebene der DRG- Kalkulation die Personalkosten, ins- besondere die der Pflege, in ausreichen- der Höhe und Gewichtung berücksichtigt werden. Dass die Krankenhäuser diese Mittel auch tatsächlich für Personalkosten eingesetzt haben, müssen sie in den Budgetverhandlungen in geeigneter Weise unbürokratisch nach-

weisen“. Im nun vorliegenden Gesetzentwurf wird dies für die Arbeit der zu implementierenden Expertengruppe dahin gehend spezifiziert, dass analysiert werden soll, ob „die sachgerechte Abbildung von Pflegebedarf im DRG- System oder über ausdifferenzierte Zusatzentgelte erfolgen kann“.

Wie kann eine ausreichende Höhe und Gewichtung in der Kalkulation erreicht werden? Die überwiegende Zahl der Kalkulationshäuser verwendet die Pflegepersonalregelung (PPR) für die Kalkulation. Die PPR unterteilt sich in zwei Bereiche: Grundpflege (A-Bereich, A1-A4) und Behandlungspflege (S-Bereich, S1-S3). Seit Einführung der PPR erfolgte lediglich im Zuge des 1. Pflegestellenförderprogramms eine Ergänzung im Bereich der Grundpflege um eine A4-Stufe. Bisher werden Pfle

gekosten über die Berechnung der Per- sonalkosten je Pflegeminute in der Kalkulation berücksichtig. Erbringt we- niger Pflegepersonal mehr PPR-Leis- tungen, sinkt der Wert der Pflegeminute (Geldeinheiten, GE). Wenn es im Ver- hältnis der zu erbringenden pflegeri- schen Leistungen zu keiner adäquaten Erhöhung des Pflegepersonals kommt, nimmt der Pflegekostenanteil in den DRG ab und ein Teufelskreis entsteht (Abbildung 2).

Wenn es die Bundesregierung mit der Forderung aus dem Koalitionsver- trag ernst nimmt und auf Ebene der Kalkulation Verbesserungen für das Pflegepersonal durchsetzen will, dann müssten Anreize geschaffen werden, um diesen Mechanismus zu verändern.

Einige Lösungsansätze sind hierzu bereits in Diskussion, beispielsweise:


  • Sofortige „Einpreisung“ von Tarifsteigerungen – wie zuletzt auch von der Deutschen Krankenhausgesellschaft gefordert. Vorstellbar wäre hier aus Sicht des DPR als Lösungsansatz ein prozentualer Aufschlag auf die GE je PPR-Minute.

  • Festsetzung der GE je PPR-Minute. Dieser Wert sollte auf den geplanten Vorgaben zur Strukturqualität des GBA beruhen. Zwingend ist hier zu berücksichtigen, dass sich Forderun- gen  nach  entsprechenden  Qualifikationen (zum Beispiel Fachqualifizierungen) nur realisieren lassen, wenn ausreichend Personal zur Verfügung steht, um die Leistungen der Mitarbeiter, die sich in entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen befinden, kompensieren zu können.

  • Gewichtungsfaktoren für PPR-Minuten für spezifische Indikationen wie beispielsweise Demenz, pflegebedürftige oder behinderte Patienten analog der bereits existierenden Gewichtungsfaktoren im Ärztlicher Dienst für bestimmte Diagnosen (beispielsweise Transplantation).


  •  


Unabhängig davon müsste die zur Kalkulation verwendete PPR hinsichtlich der in den vergangenen Jahren deutlich stattgefundenen Leistungsverschiebungen durch Delegation ärztlicher Leistungen auf das Pflegepersonal angepasst werden. Ein erster Schritt wäre eine Ergänzung der PPR im Bereich der Speziellen Pflege (S-Bereich) durch inzwischen regelhaft übertragene Tätigkeiten. Hierzu könnten etablierte Listen delegierbarer Tätigkeiten heran- gezogen werden, wie etwa die Empfehlungen des Verbandes der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands e.V. (VPU). In einem zweiten Schritt sollte durch die Ergänzung einer S4 Stufe eine verbesserte Abbildung von Leistungen der speziellen Pflege ermöglicht werden, ohne erneut ein aufwendiges komplexes Scoreinstrument zu entwickeln. Das Einstufungsschema für den S-Bereich bezieht sich ausschließlich auf die folgenden drei Bereiche:

 


  1. Leistungen im Zusammenhang mit Operationen, invasiven Maßnahmen, akuten Krankheitsphasen

  2. Leistungen im Zusammenhang mit medikamentöser Versorgung

  3. Leistungen im  Zusammenhang mit Wund- und Hautbehandlung


  4.  


Aufbauend auf die bisherige PPR S3-Definitio („Eine Zuordnung zu der Pflegestufe S3 erfolgt, wenn mind. ein Einordnungsmerkmal aus S3 zutrifft.“) wäre beispielsweise eine Neudefinition für PPR S4 wie folgt möglich: „Eine Zuordnung zu der Pflegestufe S4 erfolgt, wenn mind. zwei Einordnungs- merkmale aus S3 der drei Bereiche

 

 


  1. Leistungen im Zusammenhang mit Operationen, invasiven Maßnah- men, akuten Krankheitsphasen,

  2. Leistungen im Zusammenhang mit medikamentöser Versorgung und

  3. Leistungen im Zusammenhang mit Wund-und Hautbehandlung zutreffen.“


  4.  

 

 

Verbesserte Abbildung pflegerischer Leistungen

Neben der Veränderung der Leistungsabbildung innerhalb der Kalkulation stellt die Berücksichtigung des Pflegebedarfs eine weitere wichtige Ergänzung dar. Bis- herige Verfahren (einschließlich des PKMS) erfassen Pflegebedürftigkeit fast ausschließlich über die Zeitbindung des pflegerischen Dienstes. Dass dies offen- sichtlich eine Fehlentwicklung ist, zeigt das „Neue Begutachtungsinstrument zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit (NBA)“. Der GKV-Spitzenverband kam 2011 zu dem Ergebnis: „Vorgesehen ist u. a. eine explizite Einschätzung des Bedarfs an allgemeiner Betreuung und Beaufsichtigung. Das Instrument berücksichtigt sowohl körperliche Beeinträchtigungen als auch kognitive/psychische Einbußen und Verhaltensauffälligkeiten, die einen spezifischen Unterstützungsbedarf nach sich ziehen und/oder für die alltägliche Durchführung der Pflege ein erhebliches Erschwernis darstellen können. Im Unterschied zum jetzigen Begutachtungsverfahren ist der Maßstab zur Einschätzung von Pflegebedürftigkeit nicht die erforderliche Pflegezeit, sondern der Grad der Selbstständigkeit bei der Durchführung von Aktivitäten oder der Gestaltung von Lebensbereichen.“

Maßstab für die Pflegebedürftigkeit ist damit die Selbstständigkeit des Patienten und nicht die erforderliche Pflegezeit. Die Selbständigkeit und der verbundene Pflegeaufwand eines Patienten wird unabhängig von der Ursache vor allem durch zwei Faktoren bestimmt: die kognitive und die körperliche Funktionsfähigkeit der Patienten. Sie sollten als Pflegebedarfsfaktor in den Fallpauschalen berücksichtigt werden und könnten auch

unterschiedliche Pflegeaufwände pro Fall erklären. So zeigen Untersuchungen, dass sich für Patienten im Kranken- haus aus dieser Funktionalität – erfasst durch geprüfte Assessmentinstrumente beispielsweise den Barthel-Index oder aus den epa-AC – mit hoher Genauigkeit der Pflegeaufwand vorhersagen lassen.

Es gibt bereits eine Basis DRG (B44 Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung bei Krankheiten und Störungen des Nervensystems), in deren Definition der funktionelle Zustand Berücksichtigung findet. Die Einordung in eine höher bewertete DRG basiert hier maßgeblich auf einem höheren Pflegekostenanteil (von 493 bzw. 507 Euro) und wird lediglich durch die einfache Angabe der funktionellen Beeinträchtigung durch die entsprechende Nebendiagnose und ohne umfangreiche Maß- nahmenlisten erreicht. Der eingebrachte Einwand, dass es sich hierbei um einen Verweildauereffekt handelt, ist zunächst nachzuvollziehen. Allerdings stellt sich die Frage, ob ein erhöhter pflegerischer Aufwand nicht mit einer längeren Verweildauer vergesellschaftet ist, denn diesem Umstand trägt letztendlich die Ausgestaltung des PKMS über die Summation von täglich erhobenen Punkt- werten über die Verweildauer und die über die Gesamtsumme angesteuerten Zusatzentgelte Rechnung. In Vorträgen aus der Praxis wurde dieser Effekt bereits aufgezeigt.

Hinsichtlich der Verbesserung der Abbildung der pflegerischen Leistungen im GDRG-System wird aktuell wieder verstärkt die Einführung von NRG (Nur- sing-Related Groups) beziehungsweise pflegerelevanten Aufwandsgruppen in die Diskussion geführt. Ziel der Einführung soll es sein, ein separates Kostengewicht für pflegerische Leistungen auszuweisen. Warum hierfür ein „eigenes“ Klassi- fikationssystem (Pflegediagnosen) im- plementiert werden soll, das auch das entsprechende Leistungsgeschehen über Pflegemaßnahmen mit einbezieht, ist nicht nachzuvollziehen. Zudem würde eine solche Systematik der NRG nichts weiter als eine Erweiterung der PKMS- Systematik – wie diese bisher im OPS 9-20 verwendet wird – auf alle Patientengruppen nach sich ziehen. Dies ist aufgrund der fachlich-inhaltlichen Mängel des Instrumentes und der Aufwendungen für Dokumentation und Prüfung unbedingt abzulehnen. Zudem wäre es auch für das genannte Ziel der separaten Bewertung von Pflegeleistungen unnötig. Betrachtet man die jährlich veröffentlichten Daten im Report Browser als Teil des Abschlussberichts zur Weiterentwicklung des G-DRG-Systems, so ließen sich bereits heute Bewertungsrelationen für die einzelnen Berufsgruppen ausweisen.

NRG sind nicht zielführend

NRG stellen somit keine Lösung für die Probleme bei der Abbildung pflegerischer Leistungen im DRG-System dar. Die damit verbundene Zielrichtung, separate Bewertungsrelationen für die Pflege auszuweisen, steht mit Blick auf die Relation von Aufwand und Nutzen in keinem tragbaren Verhältnis insbesondere da bisher keine verbindliche Klassifikation von Pflegediagnosen und -maßnahmen im pflegerischen Alltag genutzt wird. Einen derart langfristigen Entwicklungsweg, der von der Einigung auf eine in Deutschland verbindlich anzuwendende pflegerische Klassifikation und deren Integration in Ausbildung und Arbeitsprozesse reicht,

einzuschlagen, ist nicht zielführend. Eine belastbare und seriöse Abschätzung des dafür benötigten Zeit- und Kostenaufwands ist kaum möglich.

Bei der Weiterentwicklung des GDRG-System sind mit systemimmanenten Ansätzen Verbesserungen für die Pflege möglich. Eine Lösung wird zeit- nah benötigt. Aus Sicht des Deutschen Pflegerates sind hierfür systemkonforme Lösungen zu bevorzugen. Die Integration von „Pflegebedarfsfaktoren“ innerhalb der Fallpauschalen stellen einen geeigneten Ansatz dar, da diese an bestehende Abbildungsmöglichkeiten im DRG-System anknüpfen. Sie ermöglichen im Einklang mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff die Einbeziehung des Patientenzustandes, aus dem sich der Grad der Hilfestellung ergibt. Die Verwendung gültiger Assessmentinstrumente, die den Zustand des Patienten beschreiben, wird bereits im DRG-System umgesetzt. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass weitere Assessments im Zuge der Entwicklung von Parametern zur Messung von Ergebnisqualität in den Kliniken eingeführt werden. Diese könnten dann zusätzlich auch für eine verbesserte Leistungsabbildung genutzt werden. Der Entwicklungsvorschlag zu Pflegebedarfsfaktoren – im Zusammenhang mit den Anpassungsvorschlägen zur

Kalkulation ermöglicht eine DRG- System konforme Verbesserung der Abbildung pflegerischer Leistungen. Diese geht weit über das Potential der NRG – als Ausweisung einer separaten Bewertungsrelation für die Pflege – hinaus, ist anschlussfähig zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und Qualitätsindikator und minimiert die Dokumentationsaufwände. Für die Kolleginnen in der Praxis kann dadurch unbürokratisch mehr Leistungsgerechtigkeit erreicht werden, damit die Pflege wieder am Patienten stattfinden kann und nicht am Schreibtisch.

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