01.04.2015 Pressemitteilung
Im Fokus: Ältere Mitarbeiter in den Pflegeberufen und im Hebammenwesen
Ausgangslage
Die demographische Entwicklung führt zu einem größer werdenden Anteil älterer Menschen in Deutschland. Während 1871 noch 43 % der Bevölkerung unter 20 Jahre alt war und der Anteil der über 65-Jährigen bei nur 5 % lag, sind diese Werte heute bei 18 bzw. 21 %. Das heißt, dass heute bereits jeder Fünfte in Deutschland mindestens 65 Jahre alt ist. In Zukunft wird sich dieses Verhältnis noch weiter verschieben: entsprechenden Vorausberechnungen zufolge wird der Anteil der unter 20-Jährigen bis zum Jahr 2060 auf unter 16 % absinken und derjenige der älteren Menschen ab 65 Jahre auf 34 % ansteigen1.
Diese Entwicklung hat u.a. zur Folge, dass immer mehr ältere Menschen im Berufsleben stehen und immer weniger junge Menschen nachrücken. Das macht sich auch in den Pflegeberufen bemerkbar. Zwischen 2000 und 2008 hat sich die Zahl der über 50-jährigen Beschäftigten in der Altenpflege verdoppelt, die der unter 35-Jährigen stieg jedoch langsamer an. In der Gesundheits- und Krankenpflege zeigt sich eine noch dramatischere Entwicklung: die über 50-jährigen Mitarbeiter verdoppelten sich nahezu im beobachteten Zeitraum, während der Anteil der unter 35-Jährigen um fast 50.000 zurückging2.
Veränderungen der Kompetenzen im Lebensalter
Pflegefachpersonen* und Hebammen der verschiedenen Altersgruppen verfügen über unterschiedliche Kompetenzen, die sich anhand von Generationentypen beschreiben lassen: ältere Mitarbeiter sind in der Regel sehr pflichtbewusst, haben ein großes Sicherheitsbedürfnis und verfügen über ein hohes Maß an Erfahrungswissen, welches ihnen einen besonders einfühlsamen Umgang mit den zu Pflegenden ermöglicht. Zudem wird ihnen Sozialkompetenz sowie Hilfs- und Kompromissbereitschaft zugesprochen. Aufgrund der hohen Zahl Gleichaltriger sind sie Konkurrenz gewöhnt. Jüngere Mitarbeiter wissen, dass sie sich lebenslang beruflich weiterentwickeln müssen. Sie suchen spannende Arbeitsaufgaben, neue Herausforderungen und interessante Fragestellungen und legen Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie3. Die steigende Altersvielfalt in Teams bieten zahlreiche Chancen, aber auch Risiken. Eine Studie hat Faktoren identifiziert, die eine effektive Zusammenarbeit in altersgemischten Teams begünstigen: unauffällige Altersunterschiede im Team, ein positives Teamklima, komplexe Arbeitsaufgaben ohne Zeitdruck, Freiräume bei der Gestaltung teaminterner Abläufe, alter(n)sgerechte Führung4. Angesichts der verschiedenen Kompetenzen gewinnen die Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen und im Hebammenwesen an Bedeutung. Sie müssen so ausgestaltet sein, dass die Mitarbeiter aller Altersstufen ihre Potenziale voll ausschöpfen können und dass ältere Mitarbeiter das Rentenalter gesund erreichen.
Arbeitsbedingungen in der Praxis
Doch davon sind viele Einrichtungen noch weit entfernt. Pflegefachpersonen sind bei ihrer Arbeit erheblichen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt. So fühlen sich Gesundheits- und Kranken- sowie Altenpfleger/innen knapp doppelt so häufig von den beruflichen Anforderungen überfordert wie andere Erwerbstätige. Knapp die Hälfte der Altenpfleger/innen und 61 % der Gesundheits- und Krankenpfleger/innen berichten, dass der Stress in den letzten zwei Jahren zugenommen hat. Bei anderen Erwerbstätigen fällt dieser Anteil mit 41 % deutlich geringer aus. Zudem berichten Angehörige der Pflegeberufe von muskuloskelettalen Beschwerden wie Schmerzen im Nacken-/ Schulterbereich und psychovegetativen Beeinträchtigungen, die sich
u.a. durch nächtliche Schlafstörungen äußern und liegen damit über dem Durchschnitt der Erwerbstätigen5. Bei der emotionalen Belastung weisen Pflegefachpersonen hohe Werte auf, die zudem mit einer abnehmenden Versorgungsqualität im Zusammenhang steht. Diese Negativspirale führt zur Absicht Arbeitsplatz und Beruf zu verlassen. Außerdem weisen Pflegepersonen aus der Altenpflege mit 25,1 Tagen pro Jahr sehr hohe Krankschreibungen auf Grund emotionaler Erschöpfung und Burnout auf6.
Auch ist in den letzten 10 Jahren ein Anstieg der Teilzeitbeschäftigung bei den Pflegeberufen zu verzeichnen. Die Teilzeitquote ist mit 52 % fast doppelt so hoch wie die der übrigen Beschäftigten im Gesundheitswesen7.
Berufstätigkeit in der Pflege und im Hebammenwesen bis 67?
Die demographische Entwicklung und ihre Folgen für den Arbeitsmarkt sind auch bei der Politik angekommen. Als Reaktion auf die Veränderungen wurde die Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre verlängert. Zwar mag es Berufe geben, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis 67 Jahre gesund ausüben können, auf die Pflegeberufe und das Hebammenwesen trifft dies nicht uneingeschränkt zu.
Position des DPR
Daher stellt der DPR klar, dass Pflegefachpersonen und Hebammen, die unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen klientennahe Tätigkeiten ausführen, nicht bis 67 arbeiten können! Gleichzeitig setzt sich der DPR dafür ein, dass Pflegefachpersonen und Hebammen so lange wie möglich in Vollbeschäftigung in ihrem Beruf verbleiben können, weil sie gebraucht werden (Fachkräftemangel) und weil die Pflegeberufe und die zu Pflegenden von ihrer Expertise und Erfahrung profitieren.
Daher fordert der DPR von der Politik Rahmenbedingungen zu schaffen und von den ambulanten und stationären Einrichtungen Arbeitsbedingungen zu gestalten, die es älteren Pflegefachpersonen und Hebammen ermöglichen lange in ihrem Beruf zu verbleiben. Auch der Einzelne, die Pflegefachperson bzw. Hebamme, ist gefordert dafür Sorge zu tragen, dass sie lange gesund bleibt und damit auch ihren Beruf lange ausüben kann.
Rahmenbedingungen auf der politischen Ebene
Als Rahmenbedingung für einen langen Verbleib älterer Pflegefachpersonen und Hebammen im Beruf werden flexible Arbeitszeitmodelle gebraucht, die es diesen Mitarbeitern ermöglichen ihre Arbeitszeit zu reduzieren, beispielsweise durch die Wiedereinführung der Altersteilzeit. Diese Reduktion muss abschlagsfrei sein, damit Pflegefachpersonen und Hebammen nicht von Altersarmut betroffen sind. Die Einrichtung von Lebensarbeitszeitkonten bzw. Wertguthaben sind weitere Modelle zur flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit.
Arbeitsbedingungen auf der einrichtungsbezogenen Ebene
Um die ambulanten und stationären Einrichtungen fit für ältere Pflegefachpersonen und Hebammen zu machen, müssen verschiedene Handlungsfelder weiterentwickelt werden:
Personal
Entscheidend für die Personalrekrutierung und -führung ist eine ausreichende Zahl qualifizierter Pflege- fachpersonen und Hebammen. Zudem bedarf es einer wertschätzenden Unternehmenskultur, in der die unterschiedlichen berufsspezifischen Kompetenzen der Mitarbeiter ebenso selbstverständlich wahrgenommen werden wie der entsprechende Zuschnitt der Tätigkeitsbereiche.
Arbeitszeit
Mitarbeiterfreundliche, flexible Arbeitszeitmodelle ermöglichen es die Bedürfnisse und Potenziale älterer Pflegefachpersonen und Hebammen in die Arbeitsorganisation einzubeziehen Dazu gehören die Möglichkeit die Arbeitszeit zu reduzieren, in Teilzeitarbeit zu wechseln und vermehrt in der Tagschicht und weniger in der Nachtschicht zu arbeiten.
Qualifikation
Geeignete Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen tragen nach dem Konzept des lebenslangen Lernens auch bei älteren Mitarbeitern dazu bei, berufsspezifische Kompetenzen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Durch gezielte Angebote können die spezifischen Kompetenzen älterer Mitarbeiter gestärkt und für die Pflegepraxis und das Hebammenwesen vermehrt nutzbar gemacht werden. Zudem erhöhen solche Maßnahmen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und tragen zu einem guten Selbstwertgefühl bei.
Gesundheit
Ziel des betrieblichen Gesundheitsmanagements ist es, Pflegefachpersonen und Hebammen aller Altersstufen langfristig gesund zu erhalten. Ältere Pflegefachpersonen und Hebammen benötigen u.U. eine spezielle Unterstützung durch die Einrichtung, die als Bedarf festgestellt, kommuniziert und umgesetzt wird. Dazu bedarf es altersgerechter Arbeitsplätze und entsprechend zugeschnittene Aufgabenbereiche.
In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Konzepte entstanden, die zeigen, wie die verschiedenen Handlungsfelder für ältere Pflegefachpersonen und Hebammen weiterentwickelt und entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden können. Beispielsweise enthält eine Broschüre der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) dazu weitere Angaben8. Mit dem INQA-Kurzcheck „Pflege“ können sich Führungskräfte aus Pflegeunternehmen zudem einen ersten Überblick verschaffen, wie gut ihre Einrichtung auf demografische Herausforderungen vorbereitet ist, wo Stärken und Schwächen liegen und welcher Handlungsbedarf sich daraus ergibt9.
„Selbstpflege“ des Einzelnen
Durch gute Selbstpflege des Einzelnen wie die Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse nach Bewegung und Aktivität oder Ruhe und Entspannung können Pflegefachpersonen und Hebammen dazu beitragen, dass sie lange gesund bleiben und damit auch lange ihren Beruf gesund ausüben können.
Schlussbemerkungen
Wenn Pflegefachpersonen und Hebammen auch im fortgeschrittenen Lebensalter ihren Beruf ausüben wollen und sollen, gilt, dass die Arbeitsbedingungen in geteilter Verantwortung zwischen Politik, den Einrichtungen und der einzelnen Pflegefachperson bzw. Hebamme dafür ausgerichtet werden müssen. Wenn die Politik die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass ältere Pflegefachpersonen und Hebammen lange in ihrem Beruf arbeiten können und die Einrichtungen die Arbeitsbedingungen entsprechend ausrichten, entsteht eine gute Arbeitssituation für alle Mitarbeiter! Denn was für ältere Mitarbeiter getan wird, kommt allen Mitarbeitern zu Gute!
Literatur
1 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2013). Bevölkerungsentwicklung 2013, S.12 www.bib-demografie.de
2 dip Pflege-Thermometer 2009. Pflegethermometer. http://www.dip.de/materialien/berichte-dokumente/
3 Rump, J.;Eilers S. (2015) Das Miteinander der Generationen am Arbeitsplatz. Informationsdienst Altersfragen 42(1) 10-18
4 Wegge, J.; Jungmann, F. (2015) Erfolgsfaktoren der Zusammenarbeit von Jung und Alt in einem Team. Informationsdienst Altersfragen 42 (1) 3-9
5 BauA (2014). Arbeit in der Pflege – Arbeit am Limit? Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche. www.baua. de/dok/5479728
6 Zander B, Busse R (2014). Scheitern? Ergebnisse der RN4Cast-Studie im Licht der Angstproblematik. In: Hax- Schoppenhorst T, Kusserow A (eds.): Das Angst-Buch für Pflege- und Gesundheitsberufe. Praxishandbuch für die Pflege- und Gesundheitsarbeit. 1. Auflage (Mai 2014)
7 Simon, Michael (2012). Beschäftigte und Beschäftigungsstrukturen in Pflegeberufen: Eine Analyse der Jahre 1999 bis 2009. Studie für den Deutschen Pflegerat. http://f5.hs-hannover.de/personen/lehrende/simon-michael- prof-dr-phil-prof/
8 BGW (2014). Älter werden im Pflegeberuf https://www.bgw-online.de/DE/Medien-Service/Medien-Center/ Medientypen/bgw-themen/TP-AAg-11U-Aelter-werden-im-Pflegeberuf.html
9 Initiative Neue Qualität der Arbeit. Dauerhaft gesund: der DemoCheck Pflege weist den Weg. http://www.inqa.de/DE/Lernen-Gute-Praxis/Handlungshilfen/Chancengleichheit-und-Diversity/DemoCheck-Pflege.html
Deutscher Pflegerat e.V. – DPR
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