11.12.2014 Arbeitsbedingungen Pressemitteilung
Im Fokus: Pflegepersonalmangel im Krankenhaus
Ausgangslage
In den letzten Jahren wurde in den Krankenhäusern massiv Pflegepersonal abgebaut. Im Zeitraum zwischen 1995 bis 2005 umfasste dieser Abbau ca. 44.000 Vollzeitstellen im Pflegedienst im Krankenhaus. Im selben Zeitraum wurden ca. 19.000 Vollzeitstellen im ärztlichen Bereich ausgebaut. 2005 lag die Zahl der Stellen im Pflegedienst der Allgemeinkrankenhäuser um 13,7 % unter dem Wert des Jahres 1995 und sogar noch unter dem Wert des Jahres 1991, als über einen Pflegenotstand in Krankenhäusern diskutiert wurde1.
Der DPR setzt sich seit Jahren für eine bessere Personalausstattung in der Pflege ein. Die Aktivitäten des DPR führten dazu, dass die Bundesregierung 2009 das Pflegeförderprogramm in das Krankenhausfinanzierungs- reformgesetz (§ 4 Abs. 10 KHEntgG) aufnahm. Anschließend wurde der Pflegekomplexmaßnahmen Score (PKMS) entwickelt, der die Nachhaltigkeit des Pflegeförderprogramms gewährleisten sollte.
Durch das Pflegeförderprogramm sollten bis 2011 17.000 zusätzliche Stellen in der allgemeinen Pflege im Krankenhaus finanziert werden; 15.300 wurden letztendlich vereinbart. Die Krankenhausstatistik für den Pflegedienst wies jedoch nur einen Zuwachs von 8.200 Stellen aus. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Stellen im Funktionsdienst um 6.500 an, was den Schluss nahelegt, dass diese Stellen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil in die Funktionsdienste geflossen sind2.
Die mit dem PKMS verbundene Zielsetzung wurde nicht erreicht, da eine weiterführende Finanzierung der zusätzlich geschaffenen Stellen im Pflegedienst nicht gesichert werden kann. Der DPR reichte dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation (DIMDI) Vorschläge zur Weiterentwicklung des PKMS ein, die jedoch nicht oder nur geringfügig berücksichtigt wurden. Daraufhin stellte der DPR seine Initiativen diesbezüglich ein.
Auswirkung auf die Patient/innen
Der Personalmangel in der Pflege macht sich inzwischen in allen Bereichen der stationären Versorgung bei den Patient/innen deutlich bemerkbar. Die aktuelle Studienlage verdeutlicht dies. Beispielsweise zeigen die Ergebnisse einer Studie, dass sich die Personalausstattung auf die Patientensicherheit auswirkt: So schätzen Stationsleitungen die Versorgung von Patient/innen mit Demenz innerhalb der Woche lediglich im Frühdienst in etwas mehr als 60 Prozent der Stationen als gesichert ein. Am Wochenende und nachmittags geht nur noch ein Drittel der Befragten von einer gesicherten Versorgung aus. Nachts bezieht sich diese Einschätzung nur noch auf eine von fünf Stationen3.
Quelle: Pflege-Thermometer 2014, S. 17
Die Ergebnisse einer europäischen Studie mit 422.730 Patient/innen und 26.516 Pflegefachpersonen machen zudem deutlich, dass die Mehrarbeit durch einen zusätzlichen Patienten die Wahrscheinlichkeit um 7 Prozent erhöht, dass ein Patient innerhalb von 30 Tagen nach Aufnahme verstirbt4.
Der Personalmangel führt zudem dazu, dass das Pflegepersonal nicht alle erforderlichen Pflegetätigkeiten durchführen kann. So zeigen die Ergebnisse einer internationalen Pflegestudie, dass 1.399 (92,6 %) der Befragten durchschnittlich 4,7 Tätigkeiten pro Schicht nicht erbrachten. Die Spannbreite dieser rationierten Tätigkeiten lag zwischen 82 % bei „Zeit und Zuwendung für Patientengespräche“ und 15 % bei „Behandlungen und Prozeduren“. Vor allem Tätigkeiten im Zusammenhang mit Zuwendung und psychosozialer Versorgung wurden rationiert. Weitere Ergebnisse zeigen, dass Pflegefachpersonen, die in Krankenhäusern mit adäquat empfundener Personalausstattung arbeiten, weniger Pflegetätigkeiten rationieren5.
Auswirkungen auf das Pflegepersonal
Der Personalmangel wirkt sich auch auf das Pflegepersonal aus: So fühlen sich Gesundheits- und Kranken- sowie Altenpfleger/innen knapp doppelt so häufig von den beruflichen Anforderungen überfordert wie andere Erwerbstätige. Knapp die Hälfte der Altenpfleger/innen und 61 % der Gesundheits- und Krankenpfleger/innen berichten, dass der Stress in den letzten zwei Jahren zugenommen hat. Bei anderen Erwerbstätigen liegt dieser Anteil nur bei 41 %. Darüber hinaus leiden Angehörige der Pflegeberufe an muskuloskelettalen Beschwerden wie Schmerzen im Nacken-/ Schulterbereich und psychovegetativen Beeinträchtigungen wie nächtliche Schlaf- störungen und liegen damit über dem Durchschnitt der Erwerbstätigen6.
Zudem stieg der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in den 10 Jahren stark an. 1999 lag er bei ca. 40 %; 2009 betrug die Teilzeitquote in der ambulanten Pflege ca. 69 % und in Pflegeheimen 54 %. Die stärksten Zuwächse der Teilzeitbeschäftigung sind im Zeitraum zwischen 1999 und 2009 bei den Altenpflegerinnen/-pflegern (+161 %) und Altenpflegehelferinnen/-helfern (+211 %) zu beobachten. Die Teilzeitquote in Pflegeberufen ist mit 52 % fast doppelt so hoch wie die der übrigen Beschäftigten im Gesundheitswesen. Ihre starke Ausweitung dürfte vor allem Ergebnis einer durch Unterbesetzung verursachten chronischen Überlastung des Pflegepersonals sein7.
Lösungen
Der Personalmangel in der Pflege wurde inzwischen auch von der Politik als Problem anerkannt. Laut Koalitionsvertrag soll gewährleistet werden, dass die Personalkosten, insbesondere die der Pflege, auf der Ebene der DRG-Kalkulation ausreichend gewichtet und in angemessener Höhe berücksichtigt werden. Es stellt sich jedoch die Frage, wie eine dem Koalitionsvertrag entsprechende bedarfsgerechte Ausstattung mit Pflegepersonal erreicht werden kann und wie sich diese mit dem derzeitigen DRG-System in Einklang bringen lässt.
In Anbetracht der Komplexität der Sachlage sind aus Sicht des DPR gestufte Lösungsansätze erforderlich, die sowohl kurzfristig als auch mittelfristig umgesetzt werden:
Es soll eine Transparenz in den jährlichen Budgetverhandlungen mit den Kostenträgern erreicht werden. Hierzu muss der Nachweis geführt werden, dass die Erlöse nach InEK Matrix für die Pflege mit dem tatsächlichen Personalbudget abgeglichen werden (Abgleich Erlös vs. Kosten). D.h. die finanziellen Aufwendungen der Kosten für Pflegepersonal sollen dort eingesetzt werden und nicht für Investitionen oder andere Personalbereiche verwendet werden.
Als Sofortmaßnahme muss ein Budget von 2,5 Milliarden Euro jährlich bereitgestellt werden; befristet auf mindestens 4 Jahre. Mit diesen Mitteln können Pflegestellen geschaffen und die Pflegepraxis damit sofort entlastet werden. Zudem sollen die Mittel für eine bessere Vergütung genutzt werden.
Die 2,5 Milliarden Euro sollen in der Förderphase über einen Aufschlag auf die abzurechnenden DRG´s ausgeschüttet werden. Die zu entwickelnde Lösung muss systemkonform und unbürokratisch sein (kein zusätzlicher Dokumentations- und Prüfaufwand), z.B. einen relativer Aufschlag auf die anteiligen Pflegekosten im DRG System erheben. Die vom Gesetzgeber vorgegebenen Strukturvorgaben hinsichtlich Ausstattung und Qualifizierung müssen unverzüglich und dauerhaft refinanziert werden. Dennoch gilt es, parallel dazu die Neu- bzw. Weiterentwicklung von geeigneten analytischen Instrumenten zur Personalbemessung zu forcieren. Analog der beschriebenen Problematiken und Forderungen müssen Personalbemessungsgrundlagen für alle Berufsgruppen im Krankenhaus, z.B. Hebammen, entwickelt werden.
Die Personalbemessung für angestellte Hebammen hat keinen sachgerechten Bezug zum tatsächlichen Arbeitsaufkommen. Um eine qualitativ hochwertige, sichere und risikoarme Versorgung über den Kreißsaal hinaus gewährleisten zu können, muss ein neues Instrument zur Personalermittlung entwickelt werden, das den tatsächlichen Personalbedarf abbildet.
Lösungen
Der DPR fordert eine angemessene Personalausstattung.
Eine nachhaltige Finanzierung des Pflegepersonals ist sicher zu stellen. Die zweckgebundene Mittelverwendung ist nachzuweisen.
Der DPR wird durch das BMG beauftragt, ein Instrument zur Personalbemessung zu entwickeln, welches sich an dem Versorgungsbedarf der Patienten ausrichtet.
Neben den quantitativen Anforderungen bedarf es auch qualitativer Investitionen in die Aus-, Fort- und Weiterbildung.
Literatur
1 Simon, M. (2007). Stellenabbau im Pflegedienst der Krankenhäuser. Eine Analyse der Entwicklung zwischen 1991 und 2005.
http://f5.hs-hannover.de/aktivitaeten/efh-papers/p07-001-michael-simon/index.html
2 Simon, Michael (2014). Personalbesetzungsstandards für den Pflegedienst der Krankenhäuser: Zum Stand der Diskussion und möglichen Ansätzen für eine staatliche Regulierung.
3 dip (2014). Pflege-Thermometer. http://www.dip.de/
4 Aiken LH, Sloane DM, Bruyneel L, et al. (2014). Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European countries: a retrospective observational study. Lancet. 2014 ay 24;383(9931):1824-30. doi: 10.1016/ S0140-6736(13)62631-8. Epub 2014 Feb 26
5 Zander, B.; Dobler, L.; Bäumler, M.; Busse R. (2014). Implizite Rationierung von Pflegeleistungen in deutschen Akutkrankenhäusern – Ergebnisse der internationalen Pflegestudie RN4Cast. Gesundheitswesen 76: 1-8
6 BauA (2014). Arbeit in der Pflege – Arbeit am Limit? Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche. www.baua. de/dok/5479728
7 Simon, Michael (2012). Beschäftigte und Beschäftigungsstrukturen in Pflegeberufen: Eine Analyse der Jahre 1999 bis 2009. Studie für den Deutschen Pflegerat.
http://f5.hs-hannover.de/personen/lehrende/simon-michael-prof-dr-phil-prof/
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