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27.02.2020 Arbeitsbedingungen Bildung Pressemitteilung

Vergütungsverhältnisse für Pflegeberufe verbessern

Die Pflegefachberufe konnten bis Mitte 1990 noch darauf vertrauen, dass sie unabhängig von der Trägerschaft (Kommunal, Freigemeinnützig, Privat) wie auch vom Einsatzbereich (Stationäre Langzeitpflege, Ambulante Pflege oder Krankenhaus) eine weitgehend vergleichbare Vergütung für ihre Dienste erhalten. Der BAT (Bundesangestelltentaríf) für die kommunalen Einrichtungen war die uneingeschränkte "Leitwährung", an dem sich alle anderen Anbieter orientierten und die jeweiligen tariflichen Erhöhungen nachvollzogen.

Mit dem Umbau des Gesundheitswesens zur Gesundheitswirtschaft wurde in den 90er Jahren das Budgetneutralitätsprinzip eingeführt. Die Kosten der Leistungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sollten nicht höher steigen als die Einnahmen der Leistungsträger (Kranken- und Pflegekassen) aus sozialversicherungspflichtigen Beiträgen. Zusätzlich wurde die Finanzierung im Gesundheitswesen auch für Privatunternehmen  geöffnet, die zunehmend eigene tarifliche Strukturen entwickelten. Die gänzliche Aufgabe des BAT hat letztlich mit dem am 1.10.2005 eingeführten TVöD und der Abschaffung der zuvor für Pflegeberufe geltenden KR-Tabelle weitere tarifliche Änderungen bewirkt1 und erhebliche Absenkungen der Gehälter geschaffen2. Danach gab es also keinen Grund mehr, sich an einer gemeinsamen tariflichen Grundlage zu orientieren. Die bis dahin mit der Gewerkschaft ver.di kooperierende Gewerkschaft der Ärzte (Marburger Bund) hat den TVöD aufgrund erwartbarer Schlechterstellung der ärztlichen Gehaltsstrukturen nicht unterschrieben und fortan als eigenständige Spartengewerkschaft das Tarifgefüge in den Krankenhäusern verändert3. Die damit verbundenen höheren Personalkosten für den ärztlichen Dienst und die im Verlauf der Jahre 1991 bis 2009 völlig unzureichenden, sogar halbierten Investitionskostenzuschüsse der Länder4, haben vor allem in den Krankenhäusern einen enormen Druck auf die Vergütung und Anzahl des dort beschäftigten Pflegepersonals ausgeübt. Dieser wurde mit der Zunahme privater Träger, in der Regel mit eigenen Tarifstrukturen, nochmals verschärft. In der Zeit von 1992 bis 2017 stieg der Anteil der privaten Träger von 15,5 % auf 37,1 %. Deren „wirtschaftlichere“ Kostenverhältnisse wurden als „Benchmark“ den tariflich gebundenen, kommunal und freigemeinnützig geführten Krankenhäusern gegenübergestellt. Somit hat ein Konglomerat von Bedingungen die relative Absenkung der Vergütung beruflich Pflegender gegenüber der Gesamtlohnentwicklung angetrieben. Auch die Gewerkschaft hat sich diesen Umständen gebeugt und u.a. 2005 einen „Tarifvertrag Zukunftssicherung (TV-ZUSI5)“ aufgelegt, der vorübergehend eine flexible Absenkung der tariflichen Bedingungen vorsah6.

Die Altenpflege wird auch heute noch vorwiegend als Sozialberuf und nicht als Gesundheitsberuf gesehen. Das hat auch tarifliche Auswirkungen. Seit 1996 steigen kommunale Träger aus der Altenpflege aus und veräußern die Einrichtungen vorwiegend an private Trägerschaften (2016: von 11.390 Altenheimen wurden nur noch 4,3% kommunal geführt. Der Anteil privater Träger stieg auf 52,6%7). Auch das hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Vergütung beruflich Pflegender in stationären Einrichtungen. Die Stagnation der pflegestufenbezogenen Pflegekassenleistungen erhöhte den Refinanzierungsdruck, da jede Vergütungssteigerung für Pflegende zu Lasten der Bewohner oder der Sozialhilfeträger ging. Das galt es zu verhindern und ging zu Lasten der Pflegenden.  Die Gehaltsentwicklung in der Altenpflege blieb daher  hinter der von den Krankenkassen finanzierten Pflege im Krankenhaus zurück.

Nach über 25 Jahren ist festzustellen, dass Pflegefachberufe in Deutschland bei gleicher Qualifikation, Berufszugehörigkeit und Tätigkeit mit bis zu € 830,- Gehaltsdifferenz8, abhängig von einer tariflichen oder unternehmenseigenen Gehaltsstruktur, vergütet werden. Diese Differenz ist zwischen den Bundesländern, aber auch innerhalb eines Bundeslandes festzustellen. Zusätzlich müssen von den Pflegefachpersonen unterschiedliche Zuschläge für Dienste zu „familienunfreundlichen“ Zeiten (Sonn,- Feiertags- und Nachtarbeit) hingenommen werden. Sie befinden sich zudem weit unterhalb tariflicher Zuschläge, die in industriellen Bereichen gezahlt werden. Zusätzlich werden Pflegefachpersonen immer noch ungewollt in Teilzeit beschäftigt. Neben der aktuell niedrigen Vergütung, werden sie also auch eine unzureichende Rente erhalten. Gleichzeitig wird von ihnen erwartet, bis zum Stundenumfang einer Vollzeitstelle flexibel verfügbar zu sein.

Diese Entwicklung beruht auf eine unzureichende Finanzierungsgesetzgebung und damit einer von den Kostenträgern (Pflegekassen, Krankenkassen und Kommunen) über viele Jahre in den Pflegesatz- bzw. Budgetverhandlungen verweigerten Übernahme der tatsächlichen Bruttoarbeitgeberkosten für das Pflegepersonal. Das Renditestreben einiger Träger von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen bzw. deren Anteilseigner verschärfte die Situation beruflich Pflegender in besonderem Maße. Diese Vergütungssituation widerspricht in erheblichem Maß einer angemessenen Gehaltsstruktur, bemessen an der Verantwortung und an fachlicher Kompetenz des Pflegeberufes in gleicher Tätigkeit. Der Wert der beruflichen Pflege erfährt aufgrund dieser unzureichenden Wertstellung eine nicht mehr hinzunehmende Abwertung.

Vergütungsverhältnisse für Pflegeberufe verbessern

Wir erwarten von der Gesetzgebung, den Einrichtungsträgern und den Gewerkschaften, endlich den tatsächlichen Wert pflegerischer Tätigkeiten in allen Settings beruflicher Pflege mit einer angemessenen Vergütung abzubilden. Hierfür  sind sowohl die Grundvergütung wie auch die Zuschläge für Dienste zu familienunfreundlichen Zeiten auf ein Niveau anzuheben, das vergleichbaren Berufen entspricht. Der Fachkräftemangel stellt den Pflegeberuf in den Wettbewerb mit anderen Berufen, z. B. in der Metallindustrie oder in der Finanzbranche. Hier werden vielfach Grundvergütungen9 jenseits von 3.000,00 EUR im ersten Monat nach der Ausbildung10 mit erheblich höheren Zulagen11 gezahlt. Bereits jetzt werden von sozialverantwortlich handelnden Einrichtungsträgern Monatsgehälter von 3280,00 EUR (incl. 13. Gehalt) in den ersten zwei Jahren nach der Grundausbildung gezahlt sowie 30 Urlaubstage und eine betriebliche Altersvorsorge gewährt.

Zuschläge für den Schichtdienst anheben

Die Konzertierte Aktion Pflege hat den Vorschlag der Pflegekammern aufgenommen, dass die  Tarifpartner „die Möglichkeit einer Erhöhung der Zuschläge für Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stammbelegschaft in ihre Verhandlungen aufnehmen“. Wir erwarten, dass die Zulagen im Schichtdienst deutlich über den jetzigen Tarifregelungen (z.B. TV-ÖD) für Pflegeberufe liegen. Die gemäß Einkommenssteuergesetz (EStG) § 3b steuerfrei wirksamen Zuschläge sind dabei weitgehend auszuschöpfen. In der am Ende stehenden Tabelle werden die nach dem Einkommenssteuergesetz steuerfreien Zuschläge denen der IG-Metall, des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes und den Erwartungen der Pflegeberufekammer gegenüber gestellt.

Die aufgezeigten Zuschlagsregelungen für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit sind unabhängig von einem Tarifvertrag für die Pflegeberufe kurzfristig in den aktuell geltenden Vergütungsregelungen für Pflegeberufe umzusetzen und von den Arbeitgebern nachweislich zur Auszahlung zu bringen.

Allgemeinverbindliche Tarife  und Zuschläge

Die Absicht der Bundesregierung, einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die Pflegeberufe auf den Weg zu bringen, wird umfänglich unterstützt. Das Ergebnis eines solchen Tarifvertrages muss auch den o.g. Anforderungen entsprechen. Dabei geht es zwingend um die Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe, die u. a. ihre Anziehungskraft in einer höheren Entlohnung, insbesondere zu den familienunfreundlichen Dienstzeiten findet. Die Leistungsträger (Kranken- und Pflegekassen, Sozialhilfeträger) müssen gesetzlich zur Anerkennung der Tarife und Zuschlagssätze verpflichtet werden, da sie u.a. in Pflegesatzverhandlungen nach wie vor über eine finale Entscheidungsmacht verfügen, die es Arbeitgebern nicht automatisch ermöglicht, ohne weiteres diese höheren Zuschläge zu zahlen. Ein gegenüber den bereits unzulänglichen Tarifen des öffentlichen Dienstes (Bund/Länder) bzw. den Arbeitsvertragsrichtlinien freigemeinnütziger Träger abgesenkter allgemeinverbindlicher Tarifvertrag wird nicht zielführend sein. Im Gegenteil würde dieser die sachgerechte Weiterentwicklung der bestehenden Tarifverträge behindern oder ein Anreiz sein, den jeweils „günstigeren“ Tarifvertrag zu wählen.

Wir erwarten von der Bundesregierung und den Selbstverwaltungspartnern einen für die Gestaltung angemessener tariflicher Bedingungen pflegerischer Leistungen vorbereitenden Runden Tisch, der die maßgeblichen Vertretungen der beruflichen Pflege, u.a. den Deutschen Pflegerat und die Pflegekammern (Bundespflege-kammer), einbezieht. Nur mit deren fachlicher und praktischer Expertise können alle den Pflegeberuf betreffenden Maßgaben für die Einordnung und Gestaltung von akzeptablen  tariflichen Rahmenbedingungen hinreichend Berücksichtigung finden. Die tarifhoheitlichen Rechte der Gewerkschaften und Trägerverbände für die daraus folgenden Verhandlungen werden dabei ausdrücklich anerkannt und stehen mit dieser Forderung außer Frage.

Bis zur möglichen Einführung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages für die Pflegeberufe ist sicherzustellen, dass die Vergütung der Pflegefachpersonen unabhängig vom pflegerischen Arbeitsfeld (Häusliche Pflege, Krankenhaus, Stationäre Pflege) auf dem jetzigen Niveau der unter Tarifautonomie verhandelten Entgelttabellen gleichgestellt werden. Es kann nicht sein, dass in der Altenpflege und Häuslichen Pflege vorwiegend schlechtere Vergütungen gezahlt werden, als für die Pflege im Krankenhaus. Der Wert des Pflegeberufes entspricht auch der Wertstellung in der Vergütung der Pflegenden.

Literatur

1 Beamtenbund und Tarifunion (2016) Übersicht Tarifabschlüsse öffentlicher Dienst seit 1990 (Tarifstand 03/2016) https://www.dbb.de/fileadmin/pdfs/2016/160519_einkommensentwicklung_
tarif.pdf
2 Netzwerk Verdi (2005) TVÖD nachgerechnet - Absenkung des Lohnniveaus im Öffentlichen Dienst http://www.netzwerk-verdi.de/16.0.html
3 Marburger Bund https://de.m.wikipedia.org/wiki/Marburger_Bund
4 Bundeszentrale für politische Bildung (2012) https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/06_02_Versorgungsbedarf_0.pdf - Tabelle 5
5 z.B. DBB Tarifunion (2005) TV zur Zukunftssicherung der Krankenhäuser https://www.av-hamburg.de/avh/upload/tarifvertraege/TV-ZUSI.pdf oder VKA (2011) Tarifvertrag
zur Zukunftssicherung der Krankenhäuser https://www.vka.de/assets/media/docs/0/Tarifverträge/07072016tv_zusi_1-2-2011_if_tv-1.pdf
6 Tarifrecht für den öffentlichen Dienst (2005) Tarifvertrag zur Zukunftssicherung der Krankenhäuser (TV ZUSI) http://www.tarif-oed.de/tarifrecht/allgemeines/2123
7 pm pflegemarkt.com (2019) Anzahl und Statistik der Altenheime in Deutschland https://www.pflegemarkt.com/2016/10/28/anzahl-und-statistik-der-altenheime-in-deutschland/
8 DBfK (2018) Nordwest: Bis zu 830 Euro Gehaltsdifferenz zwischen Alten- und Krankenpflege https://www.dbfk.de/de/presse/meldungen/2018/Nordwest-Bis-zu-830-Euro-Gehaltsdifferenz-zwischen-Alten-und-Krankenpflege.php
9 Ausgehend von mittleren Eingruppierungen im Tarifgefüge
10 Hans-Böckler-Stiftung (2020) Tarifliche Lohn-, Gehalts- und Entgelttabellen 2019 https://www.boeckler.de/wsi-tarifarchiv_4428.htm
11 IG Metall (2011) Zuschläge für Mehr-, Schicht-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit in der Eisen- und Stahlindustrie https://www.igmetall.de/download/0178320_Ei-sen_und_Stahl_Zuschlaege_0368a2f08395c0f25879e0dc1e457a86646f63dd.pdf
12 Steuerfreie Höchstsätze nach dem Einkommenssteuergesetz
13 IG-Metall Tarifinfo (o.J.) Wie hoch sind die Zuschläge? https://www.igmetall.de/tarif/tariftabellen/wie-hoch-sind-die-zuschlaege

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